10. Stuttgarter verkehrswissenschaftliches Fachgespräch des VWI

Thema: "Gleisqualität - Zustandsüberwachung und Abbildung"

Datum: 30.09.2015
Referenten: Univ.-Prof. Dr.-Ing. Ullrich Martin, Prof. Dr.-Ing. Harald Garrecht, Dr.-Ing. habil. Cristian Moormann, Dr.-Ing. Bernhard Lechner, Dipl.-Geophys. Guiseppe Staccone, Dipl.-Ing. Sebastian Rapp, Dipl.-Ing. Sabine Antrack, M.S. Duo Liu

Zusammenfassung

Das 10. Verkehrswissenschaftliche Fachgespräch, organisiert durch das Verkehrswissen-schaftliche Institut der Universität Stuttgart, welches sich mit dem Thema Gleisqualität – Zustandsüberwachung und Abbildung befasste, fand am 30. September 2015 am Institut für Eisenbahn- und Verkehrswesen der Universität Stuttgart statt. An diesem nahmen Vertreter aus verschiedenen Forschungseinrichtungen und der Industrie teil.
Herr Professor Dr.-Ing. Ullrich Martin, Direktor des Verkehrswissenschaftlichen Instituts, eröffnete das Fachgespräch mit einem kurzen Rückblick auf vergangene Fachgespräche und schloss diesem eine Einführung in das Thema Gleisqualität und deren zerstörungsfreie Mes-sung an.

Herr Dipl.-Ing. Sebastian Rapp vom Institut für Eisenbahn- und Verkehrswesen hielt die Einführungspräsentation und beschrieb den Prozessverlauf punktueller Instabilitäten sowie deren Ursachen für die Bildung am Bahnkörper in konventioneller Schotterbauweise. Eine möglichst frühzeitige Erkennung von punktuellen Instabilitäten und die daraus abgeleiteten Maßnahmen wurden als entscheidend für die Erhaltung einer akzeptablen Gleisqualität genannt. Weiterhin wurde ein Ansatz zur Abschätzung der Bodenparameter anhand des über Messung zu bestimmende Bettungsmodul vorgestellt, mit dem die Einwirkungen aus Verkehrslasten vereinfacht analytisch berechnet werden können. Der Bettungsmodul gibt am Bahnkörper in konventioneller Schotterbauweise die Steifigkeit des Schotterbetts, des Unterbaus und des Untergrunds an und spiegelt somit die Tragfähigkeit sowie die Qualität des Fahrwegs wider. In Abhängigkeit von der Bodenart und dem Zustand des Bodens (Kornzusammensetzung und Wassergehalt) werden die Bodenparameter Querdehnzahl und Feuchtdichte bestimmten Bettungsmodulwerten zugeordnet aus denen sich Steifigkeits- und Dämpfungsverhältnisse des Bodens ermitteln lassen. Eine Voraussetzung für die Anwendung des Verfahrens ist, ähnlich wie beim Ansatz des Konusmodells, dass der Baugrund auch bei heterogenen Verhältnissen zusammengefasst als homogener Boden betrachtet wird.

Herr Professor Dr.-Ing. habil. Christian Moormann vom Institut für Geotechnik der Universität Stuttgart erläuterte die bodenmechanischen Aspekte, die bei der Beschreibung einer punktuellen Instabilität maßgebend sind und deren Verhalten bei zunehmender Verschlechterung der Gleislagequalität. Hierzu gehört beispielsweise der Porenwasserüberdruck bei bindigen Böden, der durch Akkumulation im Untergrund zur Entfestigung und damit zu einer Verringerung der Steifigkeit führt. Darauf aufbauend wurden mögliche Lösungsansätze zur bodenmechanischen Abbildung von punktuellen Instabilitäten vorgestellt. Die Modellierung des Lang-zeitverhaltens eines Bahnkörpers unter zyklischer Belastung verlangt anspruchsvolle Verfah-ren. Auch hier beschrieb Herr Professor Moormann mehrere Modellierungsansätze, wie die implizite und explizite Vorgehensweise. Die implizite Vorgehensweise beschränkt sich auf eine geringe Anzahl von Lastzyklen. Es entsteht automatisch ein sehr hoher Rechenaufwand, da die Verformungen über die einzelnen Belastungszyklen berechnet werden. Basierend auf empirischen Ansätzen wird bei der expliziten Vorgehensweise eine hohe Anzahl von Lastzyklen abgebildet. Der Vorgang der Spannungsumlagerung ist hier jedoch, aufgrund der Entstehung von zu hohen Steifigkeiten, schwer abzubilden.

Frau Dipl.-Ing. Sabine Antrack von der DB Netz AG referierte über den Einfluss von externen Einwirkungen auf die Bildung von punktuellen Instabilitäten und deren Ursachenbekämpfung. Als Ursache für die Bildung von punktuellen Instabilitäten wurden nachträglich gestörte Entwässerungen bei bestehenden Eisenbahnstrecken genannt, die auch durch eingebaute Spund- und Lärmschutzwände sowie einer Neubebauung entlang eines Gleises verursacht werden können. Der Wasserablauf ist somit nicht mehr ausreichend gewährleistet, weshalb in vergleichsweise kurzer Zeit eine punktuelle Instabilität entstehen kann. Zudem wies Frau Antrack auf die fachgerechte Sanierung hin, die unbedingt bei einer entstandenen punktuellen Instabilität durchzuführen ist, da andernfalls über einen längeren Zeitraum betrachtet, insgesamt ein unnötiger erhöhter wirtschaftlicher Aufwand entsteht.

In einem Gemeinschaftsbeitrag stellten Herr M.Sc. Duo Liu und Herr Dr.-Ing. Bernhard Lechner vom Lehrstuhl und Prüfamt für Verkehrswegebau der Technischen Universität Mün-chen ein Verfahren zur Abbildung von dynamischen Rad-Schiene Kräfte im Bereich von Un-stetigkeitsstellen vor. Es wurden zwei verschiedene Arten von Unstetigkeitsstellen betrachtet: Der Übergang zu einer Brücke und der Wechsel der Steifigkeit bei einer Fahrbahn mit und ohne Unterschottermatte. Hierbei wurde zunächst die Gleisqualität gemessen und anschließend unter Berücksichtigung der wechselnden Steifigkeiten entlang des Fahrwegs die Interaktion Fahrzeug-Fahrweg-Unterbau mittels einer Co-Simulation (Finiten-Elemente-Methode und Mehrkörpersimulation) abgebildet. Die dynamischen Kräfte infolge der Unste-tigkeitsstelle konnten somit u.a. für eine Fahrzeuggeschwindigkeit von 160 km/h wirklich-keitsnah modelliert werden.

Herr Dipl.-Geophys. Giuseppe Staccone Geschäftsführer der Ground Control GmbH mit Sitz in München zeigte die Vorteile und Grenzen von Georadarmessungen auf, die zur Erkundung des geotechnischen Zustands von Eisenbahnstrecken dienen. Für die detaillierte Erfassung der Untergrundverhältnisse sind Bohrungen an geotechnisch relevanten Stellen notwendig, die die Bodenart und deren Schichtung erkennen lassen. Die Positionen der Bohrungen können gezielt nach einem ersten Messdurchgang mittels Georadar bestimmt werden. Durch diese Verfahrensweise werden unnötige Bohrungen vermieden. Ergebnisse aus vorangegangenen Bohrungen können gegebenenfalls genutzt werden. Aus der Messung der Untergrundverhältnisse mittels Georadar in regelmäßigen Zeitabständen lassen sich zielge-richtet Instandhaltungsmaßnahmen ableiten und getroffene Maßnahmen überprüfen. Gerade die Erfassung der Untergrundverhältnisse über größere Streckenlängen oder gar eines kompletten Eisenbahnnetzes werden durch Messungen im Regelbetrieb bei hohen Fahrge-schwindigkeiten problemlos und in einem kurzen Zeithorizont mittels Georadar realisiert. Beispielsweise kann die kontinuierliche Kartierung der Schotterbettungsdicke, des Verschmutzungshorizontes der Schotterbettung sowie die Ermittlung des Feuchtigkeitsgehaltes am Bahnkörper erfasst werden.

Der geschäftsführende Direktor der Materialprüfungsanstalt der Universität Stuttgart, Herr Professor Dr.-Ing. Harald Garrecht, berichtete über die Möglichkeiten der zerstörungsfreien Prüfung von heterogenen Strukturen. Er stellte mehrere Verfahren der zerstörungsfreien Prü-fung, wie beispielsweise Thermografie, Ultraschall sowie Georadar vor und zeigte deren Ein-satzgebiete auf. Mit diesen Methoden können eine Vielzahl von unterschiedlichen Fragestel-lungen beantwortet werden. Gerade die Dauererfassung des Feuchtegehalts in heterogenen Strukturen stellt nach wie vor eine anspruchsvolle Aufgabe dar.

Nicht nur die Erfassung des Schotterverhaltens und dessen Zustands mittels verschiedener Messmethoden, sondern auch die Abbildung des Schotterverhaltens mit Hilfe der Diskreten Elementen Methode (DEM) wurden im Fachgespräch vorgestellt. Die DEM ermöglicht es, jedes einzelne Element für sich, wie beispielsweise einzelne Schottersteine als Element in-nerhalb eines Schotterbetts, simulationstechnisch abzubilden. Herr M. Eng. Bo Wang vom Institut für Eisenbahn und Verkehrswesen der Universität Stuttgart zeigte zunächst die Modellbildung mittels der DEM für ein vordefiniertes Schotterbett. Anschließend wurden die Untersuchungsergebnisse präsentiert, bei denen unterschiedlich ausgewählte Seitenverhältnisse von Schottersteinen untersucht wurden. Dabei wurden die Schotterbeschleunigung, das Leistungsdichtespektrum der Beschleunigung und das Schwingungsniveau (Energieverteilung des Schotters im Frequenzbereich) ausgewählter Steine für verschiedene Positionen im Schotterbett berechnet. Das Ergebnis der Simulation zeigt das Schwingungsverhalten in Abhängigkeit von der Position und der Form der Bestandteile des Schotters.

Geprägt durch interessante Beiträge über unterschiedliche Methoden zur Bestimmung und Beschreibung der Gleisqualität, führte das interdisziplinäre Fachgespräch zu einem regen fachlichen Austausch zwischen den Teilnehmern aus Wirtschaft und Praxis. Die Notwendigkeit von Forschungsarbeiten zur Beschreibung des Prozessverlaufes beim Auftreten punktueller Instabilitäten und deren frühzeitiger Erkennung wurden im Fachgespräch herausgestellt. Weiterer Forschungsbedarf besteht bezüglich der Verwendung unterschiedlicher Schottermaterialien für die Bettung am Bahnkörper in Abhängigkeit von den zu erfüllenden Vorgaben und deren Verhalten unter Verkehrsbelastung.

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